Von Meistern und Sklaven

28.09.2001

Ich bin jetzt bereits seit einigen Jahren ein sehr großer Anhänger der Open-Source-Programmierung und versuche oft, den Gedanken, den diese Arbeitsweise mit sich bringt, zu verbreiten und zu unterstützen. Die Open-Source-Programmierer propagieren diese Arbeitsweise mit Phrasen wie "Freiheit der Entwickler", "Freiheit der Anwender" und "Patentfreies Programmieren".

Genau das ist auch ganz meiner Meinung, jedoch haben mich einige Artikel im Internet und in Zeitungen stutzig und nachdenklich gemacht. Ich musste mir Gedanken darüber machen, inwieweit diese Freiheiten nicht selten durch die Entwickler selber beschnitten werden.

Wenn ein Projekt gestartet wird, ist das meistens das Ergebnis der Arbeit von einigen wenigen Leuten (oft auch nur einer Person). Diese Leute stellen das Projekt dann ins Internet und lassen andere Entwickler an dem Projekt teilhaben. Es entsteht ein Entwickler-Team, das sich, meistens über eine Mailing-Liste, organisiert, Vorschläge für Verbesserungen berät und Fehler im Programm bespricht und entfernt. Diese Gemeinde organisiert sich frei von konventionellen Entwickler-Teams, denen meistens ein Chef-Programmierer übersteht, der die Leitung übernimmt. Doch diese "freie" Gemeinde ist nicht so frei, wie es auf den ersten Blick scheint und es kommen wieder die konventionellen Methoden zum Vorschein, wie sie schon seit Jahrzehnten in der Software-Branche bekannt sind. Die sogenannten Maintainer des Projekts (die die es initiiert haben und leiten) sind Götter, sie bestimmen darüber, welcher Patch in das Programm aufgenommen wird und wie die Entwicklung weiter verläuft. Sie haben die Macht darüber, was mit dem Programm später geschieht. Im schlimmsten Fall können sie das Programm sogar unter eine proprietäre Lizenz stellen und es als Closed-Source-Projekt weiterführen, und die jetzt doch nicht so freien Entwickler haben das Nachsehen.

Der schlimmste Auswuchs dieses Meister-Sklaven-Modells ist die Entwicklung des Linux-Kernels, deren Richtung zu hundert Prozent in der Hand des Initiators liegt, Linus Torvalds. Tagtäglich werden ihm dutzende von Patches, Fehlermeldungen und Vorschläge zur Verbesserung des Programms zugesandt, von denen (vor allem den Patches) nicht mal die Hälfte von ihm gelesen wird. In einer FAQ zur Linux-Kernel-Mailingliste wird geraten, Patches mehrmals an Linus zu senden, weil viele von ihnen einfach ohne Worte in den Tiefen von /dev/null verschwinden. Man erhält nicht einmal eine Antwort von Linus, dass der zugesandte Vorschlag von ihm nicht akzeptiert wurde, womit wir zur Gefahr dieses Modells kommen: Wer am Projekt mitarbeiten will, der muss sich anpassen, der muss so handeln, wie der Meister es will. Wenn man Pech hat, hat man absolut keinen Einfluss darauf, was mit dem Projekt passiert. Die Freiheit der Entwickler hört da auf, wo der Master es will.

Ich will keinesfalls gegen die Open-Source-Programmierung sprechen, aber das, was bei vielen Projekten abläuft, macht mir Sorgen.

Ist das wirklich die Freiheit, wie wir sie uns vorstellen?

Dieser Artikel wurde am 28.09.2001 auf http://www.linux-community.de/Neues/story?storyid=1959 veröffentlicht und diskutiert.

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